"Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" von 1933/34

Dieses Gesetz trat am 01. Januar 1934 in Kraft und besagte, dass alle Personen, die mit Wahrscheinlichkeit "erbkranken" Nachwuchs in die Welt setzen werden, unfruchtbar gemacht würden (1, S. 72).

 

Zu den Erbkrankheiten zählten, nach damaliger Begrifflichkeit: Angeborener Schwachsinn, Schizophrenie, zirkuläres Irresein (manische Depression), erbliche Fallsucht, Veitstanz, Blindheit, Taubheit, schwere erbliche körperliche Missbildung, schwerer Alkoholismus.(2, S. 346). 


Die Unfruchtbarmachung geschah in der Regel durch scheinbar ungefährliche Operationen: Beim Mann wurden die Samenstränge, bei der Frau die Eileiter, undurchgängig gemacht. Das normale Seelenleben des geschlechtsreifen Menschen und die Fähigkeit zum Geschlechtsverkehr blieb angeblich trotz Sterilisation erhalten.(1, S. 72)

 

Der Antrag auf Sterilisation konnte vom Erbkranken selbst, von Amtsarzt, Kranken-, Heil-, Pflege-, Strafanstalt oder Konzentrationslager gestellt werden. Anschließend entschieden Erbgesundheitsgerichte über die Anträge. Dieser weitreichende Eingriff in die persönlichen Belange des Einzelnen wurde von amtlicher Seite als „eine Tat der Nächstenliebe und Vorsorge für die kommende Generation“ definiert


Hier spielten neben ideologischen auch wirtschaftliche Faktoren eine Rolle: Jährlich wurden - nach NS-Jargon und -Sicht - Millionen Reichsmark für die Pflege Geisteskranker verbraucht, die den "gesunden Volksgenossen" nicht zur Verfügung standen. Die Durchführungsverordnung von 1933 verpflichtete alle Ärzte, ihnen bekannte "Erbkranke" beim Amtsarzt anzuzeigen, da sie sonst mit der Aberkennung ihrer Approbation rechnen mussten (3, S. 72ff).


In Ergänzung zum obigen Gesetz erging 1935 ein "Ehegesundheitsgesetz", das entmündigten Personen und Behinderten die Ehetauglichkeit entzog.(4, S. 87) Bis 1945 wurden etwa 400.000 Personen, in der Mehrzahl Fürsorgeempfänger, so genannte "Asoziale", Hilfsschüler und Behinderte zwangssterilisiert.(5, S. 27).

Quellen:

 

(1) Dr. Johanna Haarer, Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind, Lehmanns Verlag, München, 1936

(2) W. Wagner, Taschenbuch des Nationalsozialismus 1934, Faksimile Verlag, Bremen, 1988

(3) Dorothee Klinksiek, Die Frau im NS-Staat, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart, 1982

(4) Friedemann Bedürftig, Lexikon Drittes Reich, Piper Verlag, München, 1997

(5) K.W. Tofahrn, Chronologie des Dritten Reiches, Primus Verlag, ohne Ortsangabe, 2003

 

Text: Anne Schaude, Nürtingen, kleine Änderungen: M.Werner, Stand: 16. Juli 2013