Grundsätzlich „ging es den Nationalsozialisten darum, die sogenannte Volksgemeinschaft von Elementen zu befreien, die ihr schadeten“. Dafür hatten sie keinen gesamtdeutschen Plan, auch keine
einheitliche Gesetzgebung. „Ein Gemeinschaftsfremdengesetz sollte 1943 erlassen werden, kam aber nie zum Abschluss.“ Eigentlich konnten sie selbst nicht genau definieren, wer überhaupt als
„asozial“ galt. Zu dieser Kategorie zählten für sie aber all diejenigen, „die ... nicht in die nationalsozialistische Weltsicht passten“.
Ab 1933 fanden mehrere sogenannte Bettlerrazzien statt, nach landesweiten Verhaftungswellen stieg ab Juni 1938 die Zahl der so genannten „Asozialen“ sprunghaft an. „Allein zwischen dem 13. und
18. Juni 1938 wurden mehr als 10.000 arbeitsfähige Männer in Konzentrationslager verschleppt.“ Anfänglich setzte sich die Gruppe dieser Häftlinge aus Wohlfahrtsempfängern, Alkoholikern und den
Menschen zusammen, „die am Rande der Gesellschaft lebten“. „Später kamen Menschen hinzu, die gegen das Gesetz verstoßen hatten: Gelegenheitsverbrecher, Zuhälter oder auch Frauen, denen man
Prostitution vorwarf. Dazu kamen Wanderarbeiter, Sinti und Roma und Erwerbslose“, die als arbeitsscheu bezeichnet wurden. Es waren all die, „die nicht in geordneten Verhältnissen lebten, so, wie
man es bürgerlich versteht, ... die sozial Minderwertigen, deren einzigste Gemeinsamkeit es war, dass die Nazis sie als asozial bestimmt hatten.“
Ihre Verfolgung basierte auf „Verfügungen und Verordnungen, die lokal ganz unterschiedlich umgesetzt“ und von der Polizei und den Wohlfahrtsämtern initiiert worden war. „Ab 1937 konnten Asoziale
in sogenannte Vorbeugungshaft genommen werden. Asozialität stand jetzt offiziell in Zusammenhang mit Verbrechen.“ Die Häftlinge unterschiedlichster Personengruppen mussten alle einen schwarzen
Winkel an ihrer Häftlingskleidung tragen. Kaum einer von ihnen konnte nachvollziehen, warum gerade er inhaftiert worden war und „warum auch der Nebenmann unter gleicher Kategorie im Lager war.“
Diese Erfahrung führte dazu, dass es ihnen in der Haft unmöglich gemacht wurde, ein „eigenes Gruppenbewusstsein“ zu entwickeln.
Bis heute ist nicht bekannt, „wie viele Menschen ... unter dem schwammigen Begriff des ,Asozialen’ verfolgt, geknechtet und getötet wurden. Die wenigsten der Opfer sind überhaupt bekannt, eine
seriöse Schätzung gibt es nicht. ... Die meisten standen schon vor dem Nationalsozialismus am Rande der Gesellschaft. Niemand fragte danach, wie solche Menschen in solche Situationen gekommen
waren – und das bis heute! ... Noch immer wird diese Opfergruppe nicht als solche anerkannt, und noch immer wird sie am 27. Januar, dem Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, im
Gedenken nicht eigens benannt. ... Das mag auch daran liegen, dass wohl keiner derer, die als asozial verfolgt wurden, sich selbst so bezeichnet hätte. Asozialität war eine Fremdzuschreibung
durch die Nazis, eine, die auch die Forschung aufgreifen muss, will sie diesen Opfern ein Gesicht geben.“
Quelle:
Ann-Kathrin Büüster, Die letzten vergessenen Opfer, „Asoziale“ im Nationalsozialismus, Deutschlandradio, 13. 06. 2015
Anne Schaude, Februar 2017