Die nationalsozialistische Diktatur beeinflusste und versah ihre Bürger und die, denen das Staatsbürgertum abgesprochen wurde, mit gezielten bevölkerungs- und rassenpolitischen Maßnahmen (1 S. 14), deren Ziele sich radikalisierten, nachdem sie den Zweiten Weltkrieg begonnen hatte. (1 S. 24) Dabei stand das Wohl der so genannten Volksgemeinschaft im Mittelpunkt ihrer Ideologien und nicht das Wohl des Individuums. Mit den „zehn Leitsätzen zur Gattenwahl“ forderte sie zum Beispiel dazu auf, bei der Wahl des Ehepartners so genannte rassen- und erbbiologische Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Die staatlichen Eingriffe in den privaten Bereich sollten der „rassischen Neuordnung Europas“ dienen und beschränkten sich nicht nur auf die „rassische Gestaltung“ der Deutschen aufgrund von „Auslese“: So reichten zum Beispiel „die antisemitischen Maßnahmen gegen die als jüdisch definierte Minderheit ... von der Erfassung, Kennzeichnung und damit Sichtbarmachung bis zur Deportation und Ermordung.“ (1 S. 14f)
Grund zu „rassenpolitischer Besorgnis“ lösten bei den Behörden die bis zu elf Millionen „Fremdarbeiter“ aus, die nach 1939 bis Kriegsende im Reichsgebiet zum Einsatz gezwungen wurden. Es waren somit ZwangsarbeiterInnen und Kriegsgefangene aus den besetzten Ländern, zu denen sozialer und intimer Kontakt als „rassisch unerwünscht“, also verboten, galt und mit Sanktionen belegt wurde. (1 S. 16) Der strafrechtliche Begriff des „verbotenen Umgangs“ mit Kriegsgefangenen war in der so genannten Wehrkraftschutzverordnung von 1939 festgelegt. Obwohl diese Kontakte deutschen Männern und Frauen gleichermaßen untersagt waren, galt das Delikt bald als „Frauendelikt“. Daraufhin warnte der Sicherheitsdienst der SS in seinen Berichten unter anderem vor der „Sexualnot der Kriegsgefangenen“ und vor einer „Erotisierung des öffentlichen Lebens“. (1 S. 26)
Da nun die „Qualität des Volkskörpers“ einer ständigen Gefährdung ausgesetzt war, entwickelte sich der Arbeitseinsatz von Kriegsgefangenen und so genannten fremdvölkischen Zivilarbeitern zu einem massiven innenpolitischen Problem. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs gab es für die Bewertung ausländischer Arbeitskräfte eine „rassische Hierarchisierung“ nach Herkunftsländern, die der nationalsozialistischen Rassenlehre entsprach: Arbeitskräfte aus dem besetzten Westeuropa standen an der Spitze, diejenigen aus der Sowjetunion gehörten zum unteren Ende. (1 S. 53)
Auch bei der gerichtlichen Verfolgung von Straftaten sah das nationalsozialistische Sonderrecht eine „rassische“ Differenzierung der Täter vor: Polnische und sowjetische Arbeiter wurden in der Regel nicht der Justiz, sondern direkt der Gestapo unterstellt. Das hatte zur Folge, „dass die sogenannten GV-Verbrechen (Geschlechtsverkehrverbrechen) in vielen Fällen mit einer ,Sonderbehandlung’, d.h. der Hinrichtung bestraft wurden.“ (1 S.56) „Westliche Kriegsgefangene wurden im Falle des ,verbotenen Umgangs’ mit deutschen Frauen von den Militärgerichten meist zu einer Gefängnisstrafe von drei Jahren verurteilt.“ (1 S. 184) Kontakte zu zivilen Zwangsarbeitern, die als „germanisch“ oder den Deutschen „kulturell verbunden“ galten, waren zwar nicht verboten, wurden aber als „unerwünscht“ angesehen. Die „fremdvölkischen“ ArbeiterInnen aber unterlagen der Kennzeichnungspflicht, ihre sexuellen Kontakte zur deutschen Bevölkerung wurden benannt und mit dem Tode bestraft. (1 S. 209f)
In den Jahren 1942 bis 1944 stieg die Zahl diesbezüglicher Verurteilungen stark an. In der Regel wurde deutsche Frauen angeklagt, vereinzelt auch Männer. (1 S. 57) Denunziationen spielten hierbei eine zentrale Rolle, auch, um „missliebige Nachbarn oder Kollegen bei den Behörden anzuschwärzen.“ (1 S. 184) Das Strafmaß der Urteile für diese Frauen lag zwischen Geldbußen und mehrjährigen Zuchthausstrafen. (1 S. 57) Besonders strafverschärfend war es, wenn es sich bei einer Frau um die Ehefrau oder Witwe eines Soldaten an der Front handelte, da ihr „abweichendes“ Verhalten als „würdelos“ angesehen wurde. (1 S. 189) Bis „zum Herbst 1941 und vereinzelt auch über diesen Zeitpunkt hinaus“ fanden so genannte „Schändungen“ statt: „Frauen, denen eine sexuelle Beziehung zu Kriegsgefangen oder auch zu ,fremdrassigen’ Zivilarbeitern vorgeworfen wurde, wurden kahlgeschoren, mit einem Schild um den Hals durch den Ort geführt und an zentraler Stelle ... den Beschimpfungen ihrer ,Volksgenossen’“ ausgesetzt. (1 S. 212f)
1942 wurde der „Geschlechtsverkehr deutscher Frauen mit fremdvölkischen Arbeitskräften“ als „dauerhaftes ... Problem der Behörden geschildert.“ (1 S. 245) Zum verbotenen Umgang mit Kriegsgefangenen gehörten aber auch so genannte Gefälligkeitsdelikte: Wenn zum Beispiel deutsche Arbeiter an ihrem Arbeitsplatz Pakete oder Briefe von polnischen Kriegsgefangenen annahmen und für sie abschickten, aber auch, wenn sie Dinge aus diesen Paketen für eigene Zwecke entwendeten. Da diese Arbeiter mit ihrem Verhalten ihr „Volk gefährdet“ hätten, verdienten sie eine schwere Strafe und zwar in Form einer Gefängnishaft von sechs Wochen bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall von bis zu drei Jahren. (1 S. 119) „Das Ausmaß des Umgangs“, die Schwere der verschiedenen Taten, die gemeldet wurden, waren vielfältig: „Die Gerichte hatten vielfach unbedeutende Fälle abzuurteilen, wie das Essen am gemeinsamen Tisch, das Anbieten von Zigaretten oder die Erste Hilfe bei Verletzungen.“ Es gab auch deutsche Frauen, die „ihren Kriegsgefangenen“ mit Zivilkleidern, Geld und Kartenmaterial zur Flucht verhalfen. (1 S. 253)
Die Einordnung des „verbotenen Umgangs“ als „Massendelikt“ der NS-Zeit weist darauf hin, dass die Akzeptanz im „Volk“ „zumindest nicht flächendeckend und nicht in der von Führung und Partei gewünschten Konsequenz vorhanden war.“ (1 S. 165) Die Frage, wie weit diese Aussage mit den überlieferten Nürtinger Quellen übereinstimmt, kann erst nach entsprechenden Recherchen beantwortet werden.
Quellen:
1.Silke Schneider, Verbotener Umgang. Ausländer und Deutsche im Nationalsozialismus, Nomos Verlag, Baden-Baden 2010, ISBN 978-3-8329-6008-7
Anne Schaude, Stand: November 2014