Alois Dangelmaier, katholischer Stadtpfarrer

Die kleine katholische Kirche an der Neuffenerstraße vor dem Abbruch 1960 (Quelle: StANT)
Die kleine katholische Kirche an der Neuffenerstraße vor dem Abbruch 1960 (Quelle: StANT)

Im Jahr 1933 war die katholische Kirchengemeinde Nürtingen relativ klein.


Der Historiker Dr. Steffen Seischab schreibt dazu in "Nürtingen 1918 – 1950": „Die Nürtinger Katholiken gehörten zur Pfarrei St. Bonifatius in Metzingen, deren Pfarrer zur 1907 errichteten Johanneskirche in der Neuffener Straße ... mit dem Zug pendeln oder über die 12 Kilometer einfach zu Fuß gehen mussten.“


Hier gab es auch kein Gemeindehaus, vielleicht wurde gerade deshalb die religiöse Gemeinschaft intensiv gelebt. (1/248)

Wie die Mehrheit seiner Amtskollegen war der Rottenburger Bischof Johannes Baptista Sproll, zu dessen Diözese die Metzinger, und somit die Nürtinger, Gemeinde gehörte, kein begeisterter Anhänger des Nationalsozialismus. „Die Machtergreifung der Nazis legte jedoch ein Arrangement mit der neuen Regierung nahe, das ... in dem am 20. Juli 1933 verkündeten Reichskonkordat mündete. ... Sproll ermahnte deshalb Klerus und Laien der Diözese zunächst zur Kooperation mit den staatlichen Stellen.“ Seine Katholiken sollten sich unauffällig verhalten, um  „möglichst wenig Anlass zum Ärgernis (zu) geben“. (1/249)


Mut, sich diesen Auflagen zu widersetzen und seinem Gewissen zu folgen, bewies der damalige Pfarrer der Metzinger Gemeinde Alois Dangelmaier (1889–1968, Priesterweihe 1913, für Metzingen und Nürtingen tätig ab 1926 (1/514/99)), der am 03. 12. 1933 „eine Gedenkmesse für sechs in Köln hingerichtete Kommunisten“ gelesen hatte. Im Januar 1934 wurde Dangelmaier verhaftet und im Konzentrationslager Oberer Kuhberg in Ulm inhaftiert. In seinem Verhör gab er an, „seinen Gläubigen und den Kindern zum Bewusstsein zu bringen, wie weit man kommen könne, wenn man die böse Lust nicht beherrsche und sich verhetzen lasse. Es sei doch furchtbar, wenn ein Mensch auf dem Hinrichtungsplatz ende. Namentlich sei es ein Knabe seiner Pfarrei gewesen, den er im Auge habe, der sehr jähzornig sei und von dem die andern sagen, der werde noch ein Mörder.“ Nach der gelesenen Messe habe er dasselbe Thema auch in der Christenlehre behandelt. Die Gestapo konnte diese Argumente nicht akzeptieren, da Dangelmaier als Pfarrer doch sicher eine andere, unverfänglichere Möglichkeit gehabt hätte, seine erzieherischen Aufgaben auszuüben. (1/249f)


Nachdem Pfarrer Dangelmaier inhaftiert war, „versuchte das bischöfliche Ordinariat zunächst, den dadurch entstandenen Schaden zu begrenzen, indem man seine Aktion den staatlichen Behörden gegenüber als einmaligen Ausrutscher eines irregeleiteten Einzelnen darstellte“. Für die Begnadigung ihres „beliebten Seelsorgers“ setzten sich aber auch die Nürtinger Katholiken „Josef Dreher, Johann Baptist Glocker und Anton Halbherr“ mit einer Solidaritätsadresse  vom 29. 01. 1934 ein. (1/250) Als der Nürtinger Arzt Dr. Wilhelm Dandler „von den Machenschaften“ gegen den Pfarrer erfuhr, sprang er „als völlig Unbeteiligter in die Bresche und schrieb an den sehr mächtigen und selbstherrlichen Gauabteilungsleiter Dr. Klett“, berichtete er 1947 während seiner Aussage zur eigenen Sache vor der Spruchkammer. (2) In seinem ausführlichen Schreiben wies er Dr. Klett „auf die Unverantwortlichkeit seines Verhaltens hin“. Er berichtete weiter: „Das Verfahren wurde dadurch verzögert, der arme Geistliche landete trotzdem in den Kasematten des Fort Kuhberg, Ulm. Ich wurde schwer verwarnt.“ (3)


Trotzdem wurde der „unbequeme“ Pfarrer wenig später entlassen (1/250) und 1935 nach Oeffingen (1/514/99) versetzt. 1947 schrieb Pfarrer Dangelmaier aus dem dortigen Pfarramt einen Brief an Dr. Dandler, der ihn vermutlich um ein persönliches Zeugnis für seine Spruchkammeranhörung gebeten hatte: 

„Mein lb. Herr Dr.!

Da ich heute sowieso schon an den „Zeugnissen“ bin, soll auch das Ihrige noch hinzukommen, das ich ja mit gutem Gewissen ausstellen kann – so überflüssig es mir auch erscheint angesichts der schlechten „Nazi“-Eigenschaften. ... Im Jahr 1943 habe ich nochmals 3 Monate Gefängnis gefasst, die dann in eine Geldstrafe von 900 Mk (Anm.: Mark) umgewandelt wurden. ... Auch wenn es fast keine Juden mehr gibt, so sollte es doch Kinder Gottes geben, die klüger sind wie die Kinder dieser Welt. ....“ (4)


Hintergrundinformationen zum Konkordat


Dr. Steffen Seischab: „Im Zentrum des kirchlichen Interesses stand ... vor allem das Pochen auf die Einhaltung des Konkordats durch den Staat. Bereits im Oktober 1933 war von Pfarrern mehrfach auf ... Konkordatsverletzungen hingewiesen worden. ... Streitpunkte ... waren vor allem die Auslegung der Paragrafen 31, ,der alle katholischen Organisationen und Verbände, die ausschließlich religiösen, rein kulturellen und karitativen Zwecken dienen’, unter staatlichen Schutz stellte, und 32, der ,für die Geistlichen und Ordensleute die Mitgliedschaft in politischen Parteien und die Tätigkeit für solche Parteien ausschließen’ sollte. Ähnlich wie ihre protestantische Schwester suchte die katholische Kirche ihre Autonomie im NS-Staat durch den Rückzug auf rein religiöse Zuständigkeiten zu wahren. Allerdings wurde schnell deutlich, dass eine klare Trennung zwischen Religion und Politik nicht möglich war und das NS-Regime diese auch gar nicht wollte.“


„Lieber kein Konkordat als ein Konkordat, das nur einseitig bindet“, erkannte Bischof Sproll schon im August 1934. Aber von kirchlicher Seite wurde der Vertrag nicht gekündigt. Es sollte bedacht werden, dass man immer noch die Möglichkeit habe, sich auf dieses zu berufen, solange es bestehe. (1/250f) Am Abend des 10. April 1938, nachdem sich Bischof Sproll der Volksabstimmung enthalten hatte, musste er aus seinem Bistum fliehen. Das gesundheitlich angeschlagene Oberhaupt der Diözese Rottenburg irrte von Zufluchtsstätte zu Zufluchtsstätte und fand 1941 Aufnahme bei Nonnen in einem bayrischen Krankenhaus. Bis zum Kriegsende konnte er sein Bistum nicht mehr betreten. (1/252f)


Quellen:

  1. Nürtingen 1918 – 1950, Hrsg. R. Tietzen, Verlag Sindlinger- Burchartz, Nürtingen/ Frickenhausen, 2011, ISBN 978-3-928812-58-0
  2. EL 902/17 Bü 1422, Blatt 20, 1947
  3. EL 902/17 Bü 1422, Blatt 8, 1947
  4.  EL 902/17 Bü 1422, Blatt 9, 1947

September 2015, Anne Schaude