Etwas Musik

mit externen Musikbeispielen, Text von Michaela Saliari und Manuel Werner

"You love our music / but you hate our guts
And I know you want me / still ride the back of the bus
Every opportunity for me / is a red carpet to hell
But I’m Roma wunderkind / and I’m gonna break the fucking spell..."
(Eugene Hütz)

Dejan Jovanovic und Oana Catalina Chitu 2014 im RomnoKher Mannheim, Foto: Manuel Werner, Nürtingen
Dejan Jovanovic und Oana Catalina Chitu 2014 im RomnoKher Mannheim, Foto: Manuel Werner, Nürtingen

Ein Roma-Sprichwort besagt: "Die größte Ehre gebührt dem Musiker." 

 

Doch gibt es eine Musik "der" Sinti und Roma?

 

Die von manchen von ihnen gespielte Musik ist so unterschiedlich, ja noch unterschiedlicher wie die vielen Gruppen. Je nach Land war und ist sie unterschiedlichen Einflüssen unterworfen, die sich oft wechselseitig durchdringen. Wem ist der Csárdás, wem der Flamenco zuzuordnen? 

Berufsmusiker orientieren sich zusätzlich am Geschmack wie auch an den Vorstellungen des jeweiligen Publikums.

Vor allem früher gab es auch eine Trennung zwischen der Musik, die für die Mehrheitsbevölkerung  zum Geldverdienen gemacht wurde, und der Musik für die eigenen Leute. So heißt es in der tschechischen Website romove.radio.cz in Anlehnung an ein Roma-Sprichwort: "Den Nicht-Roma spielten sie für das Ohr, sich selbst für das Herz." Auch von Burladinger Sinti ist noch aus den 50er und 60er-Jahren bekannt, dass am "Lagerfeuer" intern - teils mit jungen "Gadscha"-Gästen von in der Nähe befindlichen Bauernhöfen und Dörfern - die "eigenen" Lieder und Weisen gespielt wurden. Die Mädchen und jungen Frauen wollten lange verweilen und völlig fasziniert ein Lied aufs andere hören. Heute wiederum ist Sinti-Swing oder Roma-Musik allgemein "in". Auf der anderen Seite haben zwei Nürtinger Sinti vor noch nicht langer Zeit bei diversen Gelegenheiten deutsche Schlager und Sinatra-Lieder gesungen, zum Geldverdienen, ohne sich als Sinti zu "outen". Oft sind sie nach Hause gefahren, "wenn bereits die Vögel gezwitschert haben".

Beim  Einsingen des Liedes "Miro Si rowela" in Nürtingen, verfremdetes Foto von Manuel Werner
Einsingen des Liedes "Miro Si rowela" in Nürtingen, verfremdetes Foto von Manuel Werner

Letztes Jahr wurde in Nürtingen ein Lied in den Sprachen Sinte-Romanes und Deutsch eingesungen, das ein in Nürtingen geborener Sinto getextet und gesungen hat, in Zusammenarbeit und im Zusammenspiel auch mit Nicht-Sinti. Dieses Lied heißt "Miro Si rowela". Es hat den Porajmos in Auschwitz-Birkenau zum Thema am Beispiel von Anton Köhler und den anderen dort ermordeten Sintikindern und Romakindern. Es beklagt auch, dass namentlich Genannte, die "schuld an diesem Massenmord sind", jedoch "nie zur Rechenschaft gezogen wurden".

 

Weiter unten sind einige unterschiedliche Musikbeispiele zu finden. Derzeit kann hierzulande der "Sinti-Swing", auch "Jazz Manouche" genannt, der über Django und Schnuckenack Reinhardt bekannt wurde, international auch die Hymne der Roma "Djelem, Djelem" oder ähnliche Lieder wie "Ederlezi" als auch A cappella-Musik von Roma, begleitet von Rhythmustönen. wenn es sein muss mit Milchkannen, wohl am ehesten als "typische" Musik der derzeitigen Musikszene von Sinti und Roma bezeichnet werden. Kalyi Jag aus Ungarn spielt traditionelle ungarische Roma-Musik. Ektomorf hat sich auf Thrash-Metal spezialisiert. Roma-Hip-Hop in Reinform präsentieren L.L. Junior und Gipsy.Cz. Notár Máry's Repertoir ist nicht nur auf Pop-Musik beschränkt.

Doch in den 20er-Jahren spielten Sinti-Musiker hier "ungarisch" oder "Du schwarzer Zigeuner" und Musik aus "Carmen" oder "Der Zigeunerbaron" als "typische" Weisen... und nicht wenige hatten - wie Adolf Reinhardt in Burladingen -  auch klassische Musik parat. 

 

"Sinti und Roma" und "Musik"; das kann auch schnell zum Klischee werden... Viele sind verdutzt, wenn ein Sinto zu dem Thema korrigierend sagt; "Ich kann nicht mal richtig pfeifen!", oder verstehen nicht, was er damit sagen möchte.

Auf der anderen Seite kann Musik Brücken bauen und ein Zugang sein. Und sie bringt Freude ins Leben.

"Django-Noten" - Detail aus der Ausstellung "Typisch 'Zigeuner'? Mythos und Wirklichkeit" des  Landesverband Deutscher Sinti und Roma Baden-Württemberg, Foto: Manuel Werner
"Django-Noten" - Detail aus der Ausstellung "Typisch 'Zigeuner'? Mythos und Wirklichkeit" des Landesverband Deutscher Sinti und Roma Baden-Württemberg, Foto: Manuel Werner

Jenseits vieler Klischeevorstellungen dürfte gleich unser erstes Musikbeispiel sein:

1. Musikbeispiel: Das Requiem für Auschwitz von Roger 'Moreno' Rathgeb, gespielt von den "Roma und Sinti Philharmonikern"

Das einstündige Requiem kann man komplett in dem hier verlinkten  - niederländisch-sprachigen - Film anhören, bei 0.04.00 (d.h. nach 4 Minuten, man kann den Punkt auf dem Balken dort hin ziehen).

Wer sind die "Roma und Sinti Philharmoniker" und der "Philharmonische Verein der Sinti und Roma"?

Die "Roma und Sinti Philharmoniker" sind professionelle Musiker mit Roma-und Sinti-Herkunft und spielen in der Kultur der Roma und Sinti verwurzelte und durch sie inspirierte Musikstücke.


Zweck des "Philharmonischen Vereins der Sinti und Roma Frankfurt am Main e.V." ist die Pflege des musikalischen Erbes der Sinti und Roma.


Am 3. November 2002 stellte sich der 2001 gegründete „Philharmonische Verein der Sinti und Roma“ mit Sitz in Frankfurt/Main mit seinem ersten Konzert  der Öffentlichkeit vor. 2002 gründete der Dirigent Riccardo M Sahiti die "Roma und Sinti Philharmoniker".

Riccardo M Sahiti dirigiert das Reqiuem für Auschwitz, gespielt vom Philharmonischen Verein der Sinti und Roma
Riccardo M Sahiti dirigiert das Reqiuem für Auschwitz, gespielt vom Philharmonischen Verein der Sinti und Roma

Riccardo M Sahiti, gebürtig aus Kosovo, ist Vorsitzender und künstlerischer Leiter.


Wie die vierzehn Gründungsmitglieder des Vereins ist Riccardo M Sahiti professioneller Musiker mit akademischer Ausbildung.


Er wusste, dass in fast allen großen Orchestern der Welt Sinti oder Roma unter den Musikern zu finden sind. Er wusste aber auch, dass sie sich häufig nicht als Rom, Romni, Sintezza oder Sinto zu erkennen geben.

Weiter wusste Riccardo M Sahiti, dass in den Köpfen der Mehrheitsgesellschaften Sinti und Roma nicht mit klassischer Musik in Verbindung gebracht werden.

Riccardo M Sahiti, 2015 in Mannheim, Foto: B. Heinemann, alle Rechte vorbehalten!
Riccardo M Sahiti, 2015 in Mannheim, Foto: B. Heinemann, alle Rechte vorbehalten!

Dabei gab und gibt es hier ebenso eine gegenseitige Durchdringung. Viele Musikstücke sind in der Kultur der Roma und Sinti verwurzelt oder durch sie inspiriert. Als Komponisten, die Roma- und Sinti-Anklänge in ihre Werke einfließen ließen, sind beispielsweise Béla Bartók mit seinen "Rumänischen Volkstänzen" zu nennen, oder Franz Liszt mit seinen "Ungarischen Rhapsodien" sowie Johannes Brahms mit seinen "Ungarischen Tänzen".  Man denke aber auch an George Bizet ("Carmen"), Johann Strauß ("Zigeunerbaron") oder Pablo de Sarasate ("Zigeunerweisen").

 

Eines der Motive für die Gründung dieses Projektes war, die Vorurteile über „Zigeunermusik“ und deren Klischees zu durchbrechen. Weitere Ziele bestehen darin, Stücke zeitgenössischer Komponisten aufzuführen, die entweder selbst Sinti oder Roma sind oder von diesen beeinflusst wurden. Auch soll vergessene Musik wieder bekannt gemacht werden und die Ausbildung der Musiker_innen sowie musikalischen Nachwuchs gefördert werden. Die Existenz des Orchesters soll darüber hinaus auch Komponisten und Künstler dazu anregen, Werke zu schaffen, die sich mit der Kultur der Roma und Sinti befassen oder von ihr inspiriert sind.

Was ist das "Requiem für Auschwitz"?

Roger 'Moreno' Rathgeb komponierte das Requiem für Auschwitz
Roger 'Moreno' Rathgeb komponierte das Requiem für Auschwitz

Das 'Requiem für Auschwitz' wurde von Roger ‘Moreno’ Rathgeb zum Gedenken an die dortigen Opfer des Nationalsozialismus komponiert, "ob sie Juden, Sinti, Roma, Tschechen oder Polen oder wer auch immer waren" (zitiert nach FAZ 1./2.Dezember 2012). Roger ‘Moreno’ Rathgeb ist Sinto. Eine Fahrt zur Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau löste bei ihm tiefe Eindrücke und innere Erlebnisse aus: "Stimmen der toten Seelen aus dem mit Asche bedeckten Boden", "Hilfesuchende Hände", die "an seine Kehle greifen". Daraus entstand die Idee, ein Requiem zu komponieren und diesen Seelen zu widmen, "in aller Demut und Dankbarkeit": "Wenn das alles wirklich nach dem Willen Gottes geschehen ist, bin ich davon überzeugt, dass wir unsere heutige Freiheit all diesen gequälten Seelen verdanken."

 

Das Requiem für Auschwitz ist "eine sechzigminütige Komposition für ein Sinfonie-Orchester mit Chor und Solisten."

(Kursiv gesetzte Zitate aus: http://www.requiemforauschwitz.eu/de/)

2. Musikbeispiel: Sinti-Swing bzw. Jazz Manouche von Swan Berger

Swan Berger präsentiert hier als Elfjähriger Sinti-Swing bzw. Jazz Manouche im Stil von Django Reinhardt.

3. Musikbeispiel: Schnuckenack Reinhardt mit Fuli Tschai (Sinti-Lied auf Romanes)

Schnuckenack Reinhardt hatte auch Auftritte in Nürtingen...

4. Musikbeispiel: Wawau Adler und Holzmanno Winterstein, die auch während der Nürtinger Jazztage auftraten...

... in diesem Beispiel bieten sie aber keinen Jazz, sondern ein altes russisches Lied, kurz vor einem Konzert in Hamburg.

5. Musikbeispiel: "Djelem, Djelem", die internationale Hymne der Roma

Đelem, đelem - Djelem, Djelem" ("Dschelem, Dschelem"), auch "Gelem, Gelem" oder "Jelem, Jelem", die internationale Hymne der Roma, Melodie: Traditional, Text: Žarko Jovanović. Hier in einer persönlichen musikalischen Interpretation präsentiert von Maid Hecimović.

 

6. Musikbeispiel: "Fani", ein traditionelles Lied auf Romani über eine unerfüllte Liebe, von Kalyi Jag

Gusztáv Varga, Gründer von Kalyi Jag, 2015 auf "Duna Romani Luma", Foto: Manuel Werner
Gusztáv Varga, Gründer von Kalyi Jag, 2015 auf "Duna Romani Luma", Foto: Manuel Werner

"Fani", von Kalyi Jag, einer Gruppe von Angehörigen der Vlach-Roma ("Olah") aus Nordost-Ungarn. Neben Gusztáv Varga gehören Ágnes Kunstler, József Nagy und József Balogh zu den ersten Mitgliedern.

 

Kalyi Jag interpretiert traditionelle Lieder durch zusätzliche Instrumentierung mit Gitarre und Mandoline, oder Milchkannen.

Grundlegend ist jedoch mehrstimmiger Gesang, auch mit Stimmen wird Rhythmus erzeugt.

 

Nicht nur bei der Aufrechterhaltung authentischer Roma-Kultur, sondern auch bei der Ausarbeitung von Roma-Förderprogrammen spielt Kalyi Jag eine Rolle.

 

Kalyi Jag fördert auch die gleichnamigen Schulen in Ungarn.

7. Musikbeispiel: Ederlezi, ein bekanntes Roma-Volkslied auf Romani über ein Fest, von Roxane Thilou und Feile

"Ederlezi", ein Roma-Volkslied über ein Frühlingsfest, bei dem viele Roma zusammenkommen, gekonnt dargeboten von Roxane Thilou (links) & Feile (Phil Lambert, rechts) im Stil der Interpretation durch Goran Bregović.- Da dies keine perfekt ausgesteuerte Studio-Aufnahme ist, empfiehlt es sich, die Lautstärke vor dem Abspielen auf ca, 50% zu drosseln.

8. Musikbeispiel: "Mori shej sabina", präsentiert von Kalyi Jag, auf Romani

"Mori shej sabina", ein Lied über ein sehr junges, kleines, schönes Mädchen namens Sabina, präsentiert von Kalyi Jag aus Ungarn

9. Musikbeispiel: "I’m gonna break the fucking spell" - Eugene Hütz (Gogol Bordello), live

'"Just because I come from Roma-Camp up' the hill,

They put me in a school for mentally ill

Opa, opa, didireda... 'cause all their lies, about Roma...

 

You love our music but you hate our guts

And I know you want me still ride the back of the bus

Every opportunity for me is a red carpet to hell

But I’m Roma wunderkind and I’m gonna break the fucking spell..."

 

Gogol Bordello belebt das Genre Gypsy Punk, oder hat es gar begründet...

10. Musikbeispiel: Schnuckenack Reinhardt: "O weldo hi jake schuka" (Sinti-Lied auf Romanes)

11. Musikbeispiel: Rosenberg-Trio: Bossa Dorado (Swing Manouche)

Das Rosenberg-Trio mit Nous'che Rosenberg (Rhythmusgitarrist), Nonnie Rosenberg (Kontrabass) und Stochelo Rosenberg (Sologitarrist) spielt "Bossa Dorado" von Dorado Schmitt (Swing Manouche).

12. Musikbeispiel: "Bun ii vinul ghiurghiuliu" von Oana Cătălina Chiţu

Oana Cătălina Chiţu 2014 im RomnoKher, Foto: Manuel Werner, Nürtingen
Oana Cătălina Chiţu 2014 im RomnoKher, Foto: Manuel Werner, Nürtingen

Oana Cătălina Chiţu wuchs in ländlicher Umgebung in Rumänien auf.

 

Als Kind sang sie im Kirchenchor ihres Heimatdorfs Humulesti in Nordost-Rumänien.

Früh erlernte sie das Gitarrespielen.

 

In den 90er-Jahren kam sie nach Berlin.

 

Dort lernte sie das Klavierspielen und Jazzgesang. Danach studierte sie klassischen Gesang.

 

 

Im Jahr 2000 gründete sie mit dem Akkordeon-Spieler Dejan Jovanovic, der aus Serbien stammt, die Gruppe "Romença". Aber auch in anderer Besetzung, so in "Bukarest Tango",  bringt sie rumänische Tangos auf die Bühne.

13. Musikbeispiel: Jazz instrumental mit Harri Stojka, live at Jazzfest Wien 2009

Noch einmal Sinti-Swing nach Django Reinhardt:

14. Musikbeispiel: "Montagne Sainte-Geneviève", aufgeführt durch Gismo Graf und sein Trio

15. Musikbeispiel: "Kolozsvár" von Stefánó und Nótár Mary

Stefánó und Nótár Mary aus Ungarn in zwei Minuten "fetziger" musikalischer Aktion!

16. Musikbeispiel: "Jednou" von Gipsy.Cz

Gipsy.Cz verbindet Elemente der  Rap-Musik mit denen der traditionelleren Musik tschechischer/slowakischer Roma.

Und noch zweimal "Djelem, Djelem" ("Gelem, Gelem")...

"Djelem, Djelem" ("Dschelem, Dschelem"), auch "Gelem, Gelem" oder "Jelem, Jelem", die internationale Hymne der Roma mit dem Text von Žarko Jovanović noch einmal in einer anderen Interpretation (Film-Ausschnitt aus dem Kino-Dokumentarfilm: "Gypsy Spirit, Harri Stojka eine Reise") durch Harri Stojka und YELL (Jelena Krstić).

 

und einmal gesungen von der Gandhi-Schule in Pécs (Ungarn), ganz unten.

"Django Reinhardt" in der Ausstellung "Typisch 'Zigeuner'? Mythos und Wirklichkeit" des  Landesverband Deutscher Sinti und Roma Baden-Württemberg, Foto: Manuel Werner
"Django Reinhardt" in der Ausstellung "Typisch 'Zigeuner'? Mythos und Wirklichkeit" des Landesverband Deutscher Sinti und Roma Baden-Württemberg, Foto: Manuel Werner

 

Literaturtipps:

 

  • Dotschy Reinhardt: Everybody's Gypsy. Popkultur zwischen Ausgrenzung und Respekt. Berlin 2014
  • Daweli Reinhardt/Joachim Hennig: Hundert Jahre Musik der Reinhardts. Daweli erzählt sein Leben. Koblenz 2014

"Die größte Ehre gebührt dem Musiker." (http://romove.radio.cz/de/artikel/3434)

Text: Michaela Saliari und Manuel Werner, Stand: 18. November 2013

Wir danken Valerie Stojka für Erläuterungen bei der Hymne "Gelem, Gelem".

Bilderfolge oben: Gismo Graf - Harri Stojka - Riccardo M Sahiti -

Feile - Schnuckenack Reinhardt - Agnes Künstler

Mit dem abgebildeten Icon, der funktionell auf dem schwarzen Hintergrund der Website unten ganz rechts zu finden ist, gelangt man mit einem Klick wieder nach oben, was bei längeren Beiträgen ganz angenehm sein kann.