Wilhelm Paret war Pfarrer in Wittendorf. Das Fotografieren war seine Leidenschaft. Er fotografierte die Wittendorfer: Bauern, wie sie ihrer Arbeit nachgingen, Hochzeiten, das Kirchweihfest,...
Dazu fotografierte er jüdische Viehhändler, die mit den Bauern Handel trieben und Neuigkeiten in das Dorf brachten. Pfarrer Wilhelm Paret hielt den Alltag im Dorf im Bild fest. Seine Fotografien
sind eine einzigartige Quelle für die Ortsgeschichte.
Als Wilhelm Paret im Jahr 1924 sonntagnachmittags auch Sinti fotografierte, die ebenfalls Handel trieben, die für ihn ein selbstverständlicher temporärer Bestandteil des Dorflebens waren, da
wurden ihm die Scheiben eingeworfen. Zahlreiche Gemeindemitglieder forderten in einem Schreiben an den Oberkirchenrat in Stuttgart seine Versetzung, weil er den Sonntagnachmittag mit dem
Fotografieren von "Zigeunern" verbrachte. Das Schreiben ist im Original unten zu sehen. Wilhelm Paret wechselte umgehend nach Tübingen.
Auch die Familie von Anton Reinhardt reiste noch in den 60er-Jahren im Sommer durch den Schwarzwald, wo sie Handel trieben und musizierten und einige Zeit mit anderen Sinti-Familien gemeinsam verbrachten, wie Peter Reinhardt erzählt. Der Lagerplatz bei Wittendorf wurde wie andere traditionelle Rastplätze und Stellplätze noch lange saisonweise von Sinti angefahren.
Meist sind sie seit Jahrzehnten mit Schildern versehen wie "Lagern und Campieren verboten!".
Im Jahr 1982 bekam der Schreiber dieser Zeilen mit, wie Sinti auf einem ihrer traditionellen Stellplätze bei Zimmern ob Rottweil Richtung Stetten - darunter Überlebende des Porajmos - von
einem großen Aufgebot der Polizei überfallartig völlig unverhältnismäßig, ja grundlos mit Maschinenpistolen und Polizeihunden umstellt, kontrolliert und registriert wurden. Die Vorgehensweise
erinnerte an Razzien im Dritten Reich. Angaben des damaligen zuständigen Polizeichefs Parusel in der Presse zu Anlass und Vorgehen stellten sich später als unrichtig heraus. Daraus kann man
folgern, dass nicht einmal ein Anlass bestanden hatte. Aber da waren die unwahren Behauptungen schon in der Presse und in den Köpfen der Leser gewesen... Ob die darauf folgenden Leserbriefe diese
Behauptungen in den Köpfen wieder auflösen konnten?
Schreiben von Gemeindemitgliedern von Wittendorf vom 30. Juli 1924 an den Oberkirchenrat Stuttgart mit der Bitte, „die hiesige Pfarrstelle durch einen anderen zu ersetzen“, denn „Herr Pfarrer Paret bringt seinen Sonntag nachmittag mit Phortographiren von Zigeuner n ./. … zu u. gibt auf diese Weise allgemeinen Anlaß zu Ärgernis“
Im Gästebuch des Pfarrers Wilhelm Paret ist aus dem Jahr 1936 ein Eintrag von Eva Justin.(1) Sie interessierte sich auch für seine Fotos, allerdings waren ihre Motive andere...
Eva Justins Wirken kann man am Beispiel des Sinti-Jungen Anton Köhler ersehen.
Zudem:
Wenn schon der Pfarrer damals solche Schwierigkeiten bekam, weil er Sinti fotografierte, um wie viel größer mussten dann die Schwierigkeiten von Sinti mit Dorfbewohnern sein?
Text: Manuel Werner, Stand: 11.05.2013, alle Rechte vorbehalten, die Abbildungen aus der Personalakte sind urheberrechtlich geschützt.
Quelle:
(1) Mitteilung von Bernd Stöffler, Stuttgart, am 6. Mai 2913.
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