Sinti - Roma - Jenische - Gadsche

Sinti

Sinti (auch: "Sinte") sind eine nationale autochthone Minderheit wie Friesen oder Sorben. Die Eigenbezeichnung "Sinti" verwenden Angehörige der romanes-sprechenden, europäischen Minderheit, die wohl seit dem Spätmittelalter in Mitteleuropa und auch im deutschsprachigen Kulturraum beheimatet sind.

Ende des 18. Jahrhunderts ist die Eigenbezeichnung "Sende" oder "Sinte" schriftlich erwähnt. 

 

Zum ersten Mal wurden am 20. September 1407 so genannte "taten" (= Tatern") in einer Hildesheimer Urkunde erwähnt, die einen Schutzbrief hatten. Der Wein, mit dem sie von der Stadt bewirtet wurden, ist darin mit dem Zweck der Ausgabe aufgelistet. Heute noch nennt man in skandinavischen Ländern Roma mitunter tattare. 

Im Jahr 1417 bezeichnet eine anonyme Chronik der Stadt Augsburg, die sogenannte Pfälzer Handschrift Nr. 676, so genannte “Ägyptenleute”, die mit einem Schutzbrief versehen waren. Im Jahr 1446 ist in Frankfurt am Main ein "Heincz von Mulhusen zyguner" erwähnt.

 

Im französischen Sprachraum führen Sinti oder eine mit Sinti sehr verwandte Gruppe die Eigenbezeichnung "Manusch"/"Manouches", in Belgien und den Niederlanden "Manoesje". Beides heißt wörtlich übersetzt "Mensch".  Eine - kleinere - Teilgruppe der Sinti, die ursprünglich aus Böhmen und Mähren stammt, nennt sich Lallara Sinti. Sie wird auch als ''Lalleri'' bezeichnet. Weitere Untergliederungen sind - auch sprachlich - vorhanden, werden aber hier bewusst nicht genannt.

 

Sie nennen sich natürlich nicht "Sinti und Roma", sondern "Sinti". Im deutschen Sprachraum verstehen sich Sinti wie auch Roma zunächst als zwei verschiedene Ethnien, wenn es auch international seit einiger Zeit üblich ist, als Überbegriff das Wort "Roma" zu wählen, und zum Beispiel durch den Zentralrat Deutscher Sinti und Roma gemeinsame Interessen vertreten werden.

 

Die meisten der im deutschen Sprachraum lebenden Sinti sprechen neben Deutsch Romanes (= Rommenes, Romenes, Rommnes, Sinti-Romani, Sinte-Romani, selten - in Österreich - Sintitikes) als Muttersprache.

 

 

 

Glossar: Einzahl: "Sintiza" bzw. "Sinteza", auch "Sintizza", "Sintezza" (weiblich), "Sinto" (männlich), Mehrzahl: "Sinti" bzw. "Sinte", bei Frauen "Sintize", "Sintezzi" oder "Sintizija".

"Zigeuner"

"Wir sind gegen das Wort Zigeuner", eine Aktion von Harri Stojka, Foto: Bettina Neubauer, mit freundlicher Genehmigung
"Wir sind gegen das Wort Zigeuner", eine Aktion von Harri Stojka, Foto: Bettina Neubauer, mit freundlicher Genehmigung

Hundert Jahre nachdem Sinti nach Mitteleuropa und in deutschsprachige Regionen gekommen waren, Ende des 15. Jahrhunderts, setzte sich im deutschen Sprachraum allmählich die Bezeichnung "Zigeuner" durch. Damit wurden allerdings nicht nur Sinti, sondern alle nicht sesshaften Randgruppen bezeichnet, die zum Wechseln des Aufenthaltsorts gezwungen waren oder ein Gewerbe ausübten, bei dem Ortswechsel sinnvoll waren.

Prof. Rudi Sarközi & Harri Stojka stehen vor einem Bild von Prof. Karl Stojka (Harri Stojkas Onkel), Foto: Bettina Neubauer, mit freundlicher Genehmigung
Prof. Rudi Sarközi & Harri Stojka stehen vor einem Bild von Prof. Karl Stojka (Harri Stojkas Onkel), Foto: Bettina Neubauer, mit freundlicher Genehmigung

Diese "traditionelle" Außenbezeichnung wird von den meisten Sinti und Roma in Deutschland als stark abwertend empfunden und mit diesem Begriff wurden sie verspottet, beschimpft, verächtlich gemacht, von den NS-Behörden und den Behörden davor und danach stigmatisiert und verfolgt, versklavt und vernichtet. Im heutigen Sprachgebrauch hat es bestenfalls einen romantisierenden und dadurch ebenfalls sehr problematischen, vor allem aber einen stark negativen Geschmack, es ist beleidigend, und es wurde und wird von der Mehrheitsgesellschaft als Schimpfwort verwendet.

 

Die allermeisten Sinti und Roma wollen deswegen nicht "Zigeuner" genannt werden. Einige Sinti aus unserer Gegend gebrauchen dieses Wort untereinander oder mit Gadsche-Freunden bei bestimmten Gelegenheiten "witzig", oder bei Fremden "provizierend", "auslotend", mitunter aber auch bewusst mit Stolz. Wieder andere haben nichts gegen den Begriff, so lange er wertfrei und in gutem Sinne verwendet wird. Viele andere Sinti und Roma wiederum - die breite Mehrheit -. verabscheut dieses Wort. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma hat sich seit Jahrzehnten vehement dafür eingesetzt und eingefordert, dass in offiziellen Verlautbarungen, die deutsche Sinti und Roma allgemein betreffen, der Begriff "Sinti und Roma" verwendet wird und er sich wie die Begriffe "Sinti" - falls es auschließlich Sinti betrifft - oder "Roma" - falls es Roma betrifft - auch in der Alltagssprache durchsetzt. 

Roma

 

Erste Roma-Gruppen, vor allem Kalderascha und Lovara, wanderten bereits im 19. Jahrhundert nach Deutschland ein, die auch als "deutsche Roma" bezeichnet werden. Denn das Jahr 1864 markiert das Ende der Leibeigenschaft bzw. Sklaverei in Rumänien und Bulgarien, daher kamen ab da nach und nach auch osteuropäische Roma nach Mitteleuropa.

Ab den 60er-Jahren waren Roma als Arbeitsmigranten ("Gastarbeiter") nach Deutschland gekommen, die danach die deutsche Staatsbürgerschaft erworben haben ("Gastarbeiter-Roma").

Besonders in den letzten drei Jahrzehnten kamen weitere Roma aus Osteuropa und Südosteuropa nach Deutschland. 

Unter "Roma" wird - wie in der Überschrift und den Sätzen oben - in erster Linie eine - weltweit gesehen - zahlenmäßig große Untergruppe verstanden, die ihrerseits wieder hoch fragmentiert ist. "Roma" oder "Rom" wird aber mitunter auch - vor allem außerhalb des deutschen Sprachraumes - "im weiteren Sinne"  als Überbegriff verwendet, der dann z.B. auch die Sinti umfasst. Wegen der originären Bedeutung ist dies nicht unumstritten, dazu kommt, dass viele Sinti sich nicht als eine Untergruppe der Roma verstehen, auch nicht im weiteren Sinne, und Roma oft Sinti von Roma und ihren Untergruppen unterscheiden.

 

Glossar: Einzahl: "Romni" (weiblich), Mehrzahl: "Romnija", Einzahl: "Rom" (männlich), ab und zu auch "Roma", Mehrzahl: "Roma", mitunter auch "Rom". Der Vokal "o" wird hierbei stets als kurzer Vokal gesprochen: ò. 

Sinti und Roma

 

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma versucht als Bürgerrechtsbewegung seit den 80er-Jahren aus ihrer Erfahrung heraus den Begriff "Zigeuner", der kumulierend in der Nazizeit ganz besonders rassisch aufgeladen war, zu ersetzen und korrekte Bezeichnungen einzufordern. Die Mitgliedsverbände des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma haben sich seit den frühen 80er-Jahren dafür entschieden, darauf hinzuarbeiten, statt dem Begriff bzw. Schimpfwort  "Zigeuner" die Bezeichnungen "Sinti" oder "Roma" oder - wenn es um beide Gruppen gemeinsam geht - "Sinti und Roma" zu etablieren. Die meisten Sinti und Roma empfinden den Begriff "Zigeuner" als diskriminierend, alle, wenn er als Herabsetzung oder Beschimpfung verwendet wird, und genauso ist er auf dem Foto unten im Jahr 2013 hier in Nürtingen auch gemeint.

Inschrift auf einem Haus in einem Nürtinger Teilort, aufgenommen am 24. Mai 2013: "Hier woht ein Homo/Zigeuner Dieb", Foto: Manuel Werner, alle Rechte vorbehalten!
Inschrift auf einem Haus in einem Nürtinger Teilort, aufgenommen am 24. Mai 2013: "Hier woht ein Homo/Zigeuner Dieb", Foto: Manuel Werner, alle Rechte vorbehalten!

Jenische

 

Saisonal oder übers ganze Jahr migrierende Gruppen in deutschsprachigen Ländern, die ethnisch nicht zu den Sinti gehörten, wurden seit etwa ab Ende des 18. Jahrhunderts als "Jenische" bezeichnet. Die Jenischen haben oder hatten ebenfalls eine gemeinsame "Sprache". Die "jenische Sprach" wurde mitunter auch als eine "Geheimsprache" dieser früher meist Kleinhandel ausübenden Gruppe verwendet. Auch und besonders in Südwestdeutschland gibt es einige Orte, deren Bewohner sich zum Teil auf "Jenische" zurückführen, teils wird die jenische "Sprache" noch verstanden. In der Schweiz gibt es ebenfalls Jenische..

 

Gadsche bzw. Gadscha

 

Glossar: Mehrzahl: "Gadscha" (weiblich) oder "Gadsche" (männlich): Romanes für "Nicht-Sinti" bzw. "Nicht-Roma", Einzahl: "Gadscho" (bei einem Mann) bzw. "Gadschi" (bei einer Frau). Der erste Vokal "a" wird hierbei als langer Vokal gesprochen.

 

Der Begriff Gadscho (Romani-Schreibweise: "Gadžo") leitet sich vermutlich von dem altindischen Wort gārhya ("häuslich") ab. "Gadscho" heißt "Nicht-Rom" bzw. "Nicht-Sinto". Daneben bedeutete es auch "Bauer" oder "Dorfbewohner". Mitunter hat das Wort auch eine negative Konnotation. Landläufig verwenden Sinti hierzulande in deutscher Sprache umgangssprachlich zumal im Gespräch mit Nicht-Sinti oft - wertfrei - den Begriff "Deutscher", wenn sie "Gadscho" meinen, beziehungsweise "Deutsche", wenn sie "Gadsche" oder eine "Gadschi" meinen. Natürlich ist deutschen Sinti hierbei bewusst, dass sie ebenfalls Deutsche sind mit deutscher Staatsbürgerschaft. Jedoch würde erfahrungsgemäß das Romanes-Wort "Gadscho" von Nicht-Sinti kaum verstanden.
Diese sprachliche, "ethnische" Polarisierung in "Wir" und die "Anderen" hängt mit der Verfolgungsgeschichte von Sinti und Roma zusammen. Zusätzlich wurzelt sie in einer unterschiedlich ausgeprägt tradierten und unterschiedlich intensiv praktizierten dualistischen Weltanschauung mit Tabus und Reinheitsgeboten.
Die in Deutschland lebenden Sinti sind - auch wenn die hier erörterte begriffliche Trennung dies uneingeweihte und falsch informierte Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft anders vermuten lässt - in breiter Mehrheit "urdeutsch" und haben oftmals eine weit längere "deutsche" Generationenfolge als so manche, die sich mit Selbstverständlichkeit von ihren Vorfahren her als "tief verwurzelte" Deutsche empfinden.

Interview mit Dotschy Reinhardt zu Sinti und Roma in Deutschland, Deutschlandradio vom 24.10.2012, hören: hier klicken, nachlesen: hier klicken!

Interview mit Harri Stojka "Das Wort Zigeuner hat meine Jugend versaut", nachlesen: hier klicken!

Text: Manuel Werner, Nürtingen: Stand: 21. März 2014, alle Rechte vorbehalten.

Zitiervorschlag oder Quellenangabe: Manuel Werner (2014): Sinti - Roma - Jenische - Gadsche, in: Nürtinger Opfer nationalsozialistischer Verfolgung.

Website der Gedenkinitiative für die Opfer und Leidtragenden des Nationalsozialismus in Nürtingen: http://ns-opfer-nt.jimdo.com, Stand: 21. März 2014, abgerufen am: XY.YX.20XY.

Mehr Informationen hierzu finden Sie in der Rubrik "Hintergrundinformationen" von Michaela Saliari.

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Bildlizenzen:

 

Die Fotos:

  • Deutsche Sintiza, Petra Rosenberg, Foto: MarsmanRom, Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported
  • Deutsche Sintiza, Marianne Rosenberg, Foto: Arne List, Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported
  • Deutsche Sintiza, Sarah Kreuz, Foto: Surface53, Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license

auf dieser Unterseite sind unter der Creative Commons-Lizenz Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported lizenziert, kurz.

Für die Schwarz-Weiß-Fotos von Sintizze ist P. Reinhardt der Rechteinhaber.

 

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