Fragt man heute Mitbürger darüber, was ihnen zu Sinti und Roma einfällt, so sprudeln die Wörter nur so heraus: fahrend … ungebildet … faul … stehlen Kinder … riesige Wohnwagen und große Autos – woher haben die das Geld dazu? … Kriminalität … lügen und stehlen!
Fragt man sie dann danach, ob sie Angehörige der deutschen Sinti und Roma kennen, wird es still.
Es scheint sich also ähnlich zu verhalten, wie mit den Ressentiments gegenüber Ausländern. Unlängst war in der Presse zu lesen, dass die Vorurteile gegen Ausländer gerade in der Bevölkerungsgruppe am größten ist, die keinerlei Kontakt zu ausländischen Mitbürgern pflegt.
Im deutschen Sprachraum hat sich für die vorurteilsreiche Haltung gegenüber Sinti und Roma der Begriff „Antiziganismus“ entwickelt. Die Antiziganismusforschung steckt in den Kinderschuhen und wird derzeit vor allem durch „ehrenamtliches“ Engagement betrieben – staatliche Fördergelder gibt es noch nicht. Dabei wäre es dringend nötig. „Wir dürfen dabei nicht so tun, als sprächen wir hier nur über Vergangenes. Ausgrenzung und Diskriminierung von Sinti und Roma aufgrund von Ressentiments und Vorurteilen sind auch heute europäische und leider auch deutsche Realität“, so Ministerpräsident Kretschmann anlässlich der Gedenkfeier zum 70. Jahrestag der Deportation von Sinti und Roma aus Baden-Württemberg am 15. März 2013 im Neuen Schloss. Da hat er wohl recht. In dem im Dezember letzten Jahres veröffentlichten Gutachten „Antiziganismus – Zum Stand der Forschung und der Gegenstrategien“ werden verschiedene Umfrageergebnisse der letzten Jahre beschrieben. „Wenn noch 2011 knapp die Hälfte der Deutschen denkt, dass Sinti und Roma zur Kriminalität neigen, während gleichzeitig rund ¾ der 2006 befragten Sinti und Roma angeben, schon häufiger diskriminiert worden zu sein, stellt das ein äußerst beunruhigendes Ergebnis dar“, so Markus End, der Verfasser der Studie. Sein Gutachten über Antiziganismus in Deutschland kann hier online gelesen und auch heruntergeladen werden.
Bei einer Veranstaltung der Baden-Württembergischen Landeszentrale für politische Bildung im Februar 2013 in Stuttgart, berichtet die Referentin Petra Rosenberg, Vorsitzende des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma in Berlin-Brandenburg und Schwester der bekannten deutschen Pop- und Schlagersängerin Marianne Rosenberg, dass sie sich während ihrer Gymnasialzeit als Sinteza nicht outete.
Sonst wäre ihr vom Deutschlehrer womöglich unterstellt worden, den Aufsatz abgeschrieben zu haben.
Zu viele Erlebnisse in der Grundschulzeit ließen sie vorsichtig sein: Weniger von den Mitschülern, als von den Lehrern wird sie als „Zigeunerin“ schikaniert. Sie bricht die Schule ab, ohne Abschluss, weil sie die Anfeindungen nicht mehr aushält.
Erst Jahre später holt sie zunächst ihren Hauptschulabschluss nach, dann die allgemeine Hochschulreife und beginnt mit 30 ein Pädagogikstudium; erst hier bekennt sie öffentlich Sinteza zu sein.
Das Thema ihrer Diplomarbeit lautete: "Bildungspolitische Ausgrenzung von deutschen Sinti und Roma in Vergangenheit und Gegenwart in der BRD".
Text: Michaela Saliari-Abdelatif, Stand: 27.03.2013, alle Rechte vorbehalten!
(Auschnitt aus der Sparte: "Mehr Hintergrundinformationen: Deutsche Sinti und Roma – Geschichte und Gegenwart" in "Sinti und Roma")
Siehe zur Auswirkung von Vorurteilen und Rassismus auch die Kindheitserfahrungen von Peter Reinhardt in unserer Website: hier klicken!
Ein ausgezeichnetes Beispiel für Vorurteile gegen Sinti und Roma und ihre Wirkung schildert Michail Krausnick:
Nicht sehr viele Sinti und Roma in Deutschland fahren mit dem Wohnwagen durch die Gegend und leben dort vom Handel.
Manche gehen zeitweise "auf Reise". Deshalb nimmt die Bevölkerung gerade sie wahr und sie erscheinen ihr als "typische" Sinti und Roma, ählich wie bettelnde Roma-Flüchtlinge in Innenstädten vordergründig als "typische" Roma gesehen werden.
Ute Tippner ist eine von den zeitweise auf Reise gehenden Sinti und sie hat einen Text hierzu geschrieben: "Das Leben reisender Sinti in Deutschland im Jahre 2001"
Quellen zu dem Text von Michaela Saliari-Abdelatif: