Im Winter 1879
wurde Heinrich N. in Oberensingen geboren und hier drei Wochen später evangelisch getauft. Seine Eltern hießen Karl Christian und Mathilde N.. Der Vater war von 1875 bis 1884 Pfarrer in Oberensingen. Wie lange die Familie hier lebte, ist nicht bekannt.
Im Alter von 17 Jahren
traten bei Heinrich N., der inzwischen als Ökonomiepraktikant tätig war, die Symptome einer schweren psychischen Erkrankung auf.
Im August 1904
wurde er, nach mehreren Klinikaufenthalten in Tübingen, in der Privatheilanstalt Pfullingen aufgenommen.
Ab März 1922
kam er, aufgrund Auflösung der Pfullinger Anstalt, in die staatliche Heil- und Pflegeanstalt Weißenau, wo er in der dritten Verpflegungsklasse betreut wurde. Zu dieser Zeit war Heinrich N. 42 Jahre alt und seit 25 Jahren krank. „Dort allmählich eingewöhnt, verbrachte er die folgenden Jahrzehnte ohne größere Auffälligkeiten.“
Am 05. 12. 1940,
als „für sein Alter leidlich rüstig“ charakterisiert, wurde Heinrich N. nach Grafeneck „entlassen“ und am selben Tag dort ermordet. Mit diesem Sondertransport wurden insgesamt 56 Patienten aus der Heil- und Pflegeanstalt Weißenau bei Ravensburg in der Heil- und Pflegeanstalt Grafeneck getötet. Heinrich N. war 61 Jahre alt geworden.
Lt. Statistik wurden im Dezember 1940 in Grafeneck 548 Menschen vergast, im gesamten Jahr waren es etwa 10.000 Menschen, die dort getötet wurden.
Der 18. 12. 1940 in Hartheim
sind als Todesdatum und Sterbeort in den amtlichen Unterlagen angegeben. Mit dem Ziel der Beurkundung eines anderen Todesortes wurde sehr häufig aus Verschleierungsgründen ein Aktenaustausch vorgenommen. So kamen Akten aus Grafeneck zu den Anstalten nach Brandenburg und Hartheim bei Linz/ Österreich und umgekehrt.
Quellen:
1947 sagte ein als „Standesbeamter“ in Grafeneck eingesetzter Kriminalbeamter aus:
„Etwa April, Mai oder Juni 1940 wurde auf Anordnung von Berlin die so genannte Absteckabteilung gebildet. Sie wurde von einem Mann ... geführt, der mir auf mein Befragen über den Zweck die Auskunft gab, dass zu viele Kranke am gleichen Tag an demselben Ort als verstorben den Angehörigen gemeldet würden. In dem Absteckzimmer befanden sich mehrere Karten an der Wand ... . Auf den Karten wurde mittels farbiger Nadeln der Geburtsort oder der Wohnort der Kranken abgesteckt. Nach Bildung dieser Absteckabteilung kamen die Sterbeakten vom Arzt zuerst in den Absteckraum, wo entsprechend der Häufung der Todesfälle von Kranken aus den gleichen Bezirken ein falscher Todestag in den vom Arzt beigefügten Totenschein eingetragen wurde. Dann ging die Akte ... zum Arzt zurück, der dann die Todesursache eintrug“.
Quelle:
„Wenn nicht Kopf und Herz einander Beistand leisten“
Johannes N., der bedeutende Großvater
Heinrich N. besaß mit Johannes N. (1789 bis 1858) väterlicherseits einen schon verstorbenen Opa, der zu den bedeutendsten württembergischen Satirikern des 19. Jahrhunderts gehörte. Er war zudem ein schwäbischer Schriftsteller, der in Theaterstücken Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen im Königreich Württemberg übte. Aufgrund seiner politischen Ansichten wurde er 1837 zur Festungshaft auf dem Hohenasperg verurteilt, wo er insgesamt zwanzig Monate absaß. In seinem Buch von 1837 „Schwabenbräuch und Schwabenstreich aus dem Leben“ schrieb er:
„Im Leben begegnet uns oft etwas ganz unerwartet, an das man nicht denkt, und man kann dabei recht in Schaden kommen, wenn nicht gleich das rechte Mittel in die Hand fällt, oder wenn nicht Kopf und Herz einander Beistand leisten.“
Text: Anne Schaude, Stand: Oktober 2013, alle Rechte vorbehalten!
Zitiervorschlag: Anne Schaude (2013): Sein Tod in Grafeneck wurde in Hartheim beurkundet – Heinrich N., in: Nürtinger Opfer nationalsozialistischer Verfolgung.
Website der Gedenkinitiative für die Opfer und Leidtragenden des Nationalsozialismus in Nürtingen: http://ns-opfer-nt.jimdo.com, abgerufen am: XY.YX.20XY.
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