Im Herbst 1878
wurde Karoline Marie S., geborene E., in Nürtingen geboren. (1) Sie war das siebte und letzte Kind ihrer Eltern Johann Heinrich
und Catharine Louise E., geborene F., die 1863 in Nürtingen geheiratet hatten. Der Vater, Schreiner von Beruf, war „Württemberger durch Abstammung“. (2)
Am 17. 12. 1936
kam Marie S. in die badische Pflegeanstalt Hub. (1) Ihr Unterstützungswohnsitz war Karlsruhe (3) Weder im Kreisarchiv Rastatt noch im Stadtarchiv Karlsruhe können im Jahr 2014
Spuren ihres Lebens ausfindig gemacht werden. Einwohnermeldedaten liegen für Karlsruhe kriegsbedingt nicht vor. Ihre Akte im Bundesarchiv in
Berlin enthält nur ein Blatt. Darauf ist aber vermerkt, dass Marie S. gemeinsam mit ihrem Mann in der Hub untergebracht war. Er, dessen Name, hier nicht aufgeführt ist, starb 1937. (4)
Am 18. 07. 1940
wurde sie in Grafeneck getötet (1)
Lt. einer Statistik wurden im Monat Juli 1940 in Grafeneck mehr als 1.200 Menschen vergast, im Jahr 1940 waren es insgesamt etwa 10.000 Menschen.(5)
Der 28. 07. 1940
ist das offizielle Sterbedatum von Marie S., das in Grafeneck beurkundet wurde. (4) Um Nachforschungen von Angehörigen zu unterbinden, gehörten gefälschte Beurkundungen vom Todesdatum zum Alltag
in den Tötungsanstalten. Nicht nur die Opfer selbst, sondern auch die Erinnerungen an sie, sollten gründlich ausgelöscht werden.
Karoline Marie S. wurde 61 Jahre alt.
Mit 240 Kranken und Behinderten fing 1873 die Geschichte der „Kreispflegeanstalt für Schwache, Bedürftige und Kranke“ in Hub, einem Ortsteil von Ottersweier im Landkreis Rastatt, an.
Zuvor hatte auf diesem Gelände in der Ortenau ein Heilbad, das Huberbad, existiert.
In den folgenden Jahrzehnten kamen weitere Gebäude und Ausbauten hinzu, um die immer größer werdende Zahl von Pfleglingen in der Hub aufnehmen zu können.
1931 war mit mehr als 900 Bewohnern der Höhepunkt der Belegung erreicht.
Von Februar 1940 bis Februar 1941 wurden 526 Patienten aus der Kreispflegeanstalt Hub nach Grafeneck deportiert und dort vergast. Im Vergleich zu den damals in Mittelbaden bestehenden Anstalten
war dieses die größte Zahl von Opfern der Euthanasie. Der Transport vom 18. 07. 1940, zu dem die in Nürtingen geborene Marie S. gehörte, war der neunte aus Hub mit insgesamt 51 Patienten. (7, S.
110f) Für die hohe Zahl von 526 ermordeten Patienten soll auch der damalige Direktor Dr. Otto Gerke (1878 in Hannover geboren, S. 123) mit verantwortlich gewesen sein. Er, der 1937 der NSDAP
beitrat, äußerte seine Neigung zum Studium der erb- und rassenhygienischen Fragen in seinem Buch über die Geschichte der Hub: „... Gegen den vielen unseligen Minderwertigen von Geburt und
Vererbung, gegenüber diesen Untermenschen, die sozusagen ,zum Leben verurteilt’ sind und die nie wertvolle Mitmenschen werden können, gibt es gewisse Grenzen des Mitleids. ...“ (7, S. 117f)
Er soll von Anfang an bereitwillig die Aktion T4 unterstützt haben. Zeugen sagten 1948 aus, dass Dr. Gerke vermutlich häufig arbeitsfähige Bewohner der Hub auf die Transporte schickte. (S. 115ff)
So soll er die Meldelisten allein zusammengestellt haben und bei allen Transporten anwesend gewesen sein, angeblich „um seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nicht zu viel zu belasten.“ (S.
120). Dazu Oberpflegerin Rosa Merz 1948: „Ich habe nicht bemerkt, dass Gerke damals irgendetwas unternommen hätte, um Anstaltsinsassen vor einer Verlegung zu retten.“ Da, wo andere Anstaltsleiter
mit mehr oder weniger großem Erfolg ihre Schützlinge vor dem sicheren Tod zu schützen versuchten, soll der Arzt Dr. Gerke dem Verwaltungsapparat der Nazis nachgegeben und so den Massenmord
unterstützt haben. (S. 125f) Dr. Otto Gerke starb im Februar 1943 an einer Embolie. (7, S. 119)
Der Autor Adalbert Metzinger im Jahr 2012:
„Die Einstellung und das Handeln von Gerke während der Euthanasiemaßnahmen in der Hub sollte uns Mahnung sein, dass die Tötung von geistig, psychisch und körperlich behinderten Menschen nicht einfach aus der Erinnerung verdrängt werden darf.
Auch heute noch sind Ausgrenzungsmechanismen wirksam, die Menschen mit Behinderung treffen. Damals wie heute geht es im Kern um eine Wertbestimmung des Menschen.“ (S. 126)
Seit 2001 erinnert im Park der Hub die Bronzeplastik „Assunta“ (AS: Mariä Himmelfahrt) an die 526 in Grafeneck ermordeten Patienten dieser Pflegeeinrichtung. (7, S. 120)
Eine dieser Patienten war Marie S.
Quellen:
Text: Anne Schaude, Nürtingen, alle Rechte vorbehalten! Stand: August 2014
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