Ernestine S. - nicht öffentlich!

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1873 in Markgröningen geboren, heiratete Wilhelmine Ernestine W. im Jahr 1905 den Oberensinger Steinhauer Christian Gottlob S.. Das Ehepaar wohnte hier und soll vier Kinder gehabt haben, im Jahr 1934 wurden als Kinder lediglich zwei Söhne aufgeführt. Diese waren Gottlob Ernst S., ein Schreiner, geboren 1906, inzwischen verheiratet, und der 1913 geborene Karl Andreas S., von Beruf Maler und ledig. Ihre Eltern und der Ehemann waren schon vor 1934 verstorben.  
Seit wann Ernestine an einem „gestörten Geisteszustand“ litt, ist nicht bekannt. Fakt ist, dass sie seit Februar 1933 „in der Universitäts-Nervenklinik in Tübingen verpflegt“ wurde, „dort nicht länger verbleiben, in häuslichen Verhältnissen aber nicht verpflegt werden“ konnte. Da eine Pflegschaft bestand, hatte möglicherweise ihr Pfleger Emil Schäffer, ein Eisendreher aus Oberensingen, bei der Ortsfürsorgebehörde einen „Antrag auf Unterbringung in einer Staatsirrenanstalt“ gestellt. 
Beide Söhne lebten in bescheidenen Vermögensverhältnissen und waren deshalb nicht in der Lage, die Verpflegungskosten für ihre Mutter aufzubringen. Um die Finanzierung ihres Aufenthaltes in einer staatlichen Einrichtung abzuklären, wurde Ernestines Vermögen aufgelistet: Als Witwe bezog sie „eine Witwenrente von monatlich 25 RM 20 Pf.“ [Reichsmark, Pfennig] von der württembergischen Versicherungsanstalt. Ihre Fahrnis, also ihr bewegliches Eigentum, betrug etwa 400 RM. Mit weiteren 400 RM, einer Forderung an ihren Sohn Ernst, wurden die „Verpflegungskosten in der Universitäts-Nervenklinik in Tübingen bezahlt“. Weiteres Vermögen war nicht vorhanden. 
„Die Tatsache des gestörten Geisteszustandes der Ernestine S. war dem Gemeinderat bekannt und durch die Direktion der Universitäts-Nervenklinik Tübingen festgestellt“ worden. 
Folgender Beschluss wurde am 16. 11. 1934 niedergeschrieben und von Gemeinderat und Ortsfürsorgebehörde beurkundet: 
„1. Um Aufnahme der genannten Kranken in eine Staatsirrenanstalt und zwar in die dritte Verpflegungsklasse mit der niedersten Taxe, und wenn Unterbringung in eine Privatirrenanstalt eintreten müßte, um Aufnahme unter die Staatspfleglinge und Bewilligung eines möglichst hohen Staatsbeitrags bezw. unentgeltliche Verpflegung auf die Dauer von 6 Monaten zu bitten.
2. Hiermit für den hiesigen Ortsfürsorgeverband die Verpflichtung zu übernehmen, alle Kosten für die Verpflegung der genannten Kranken in der III. Klasse einer der württembergischen Staatsirrenanstalten oder als Staatspflegling in einer der hiefür in Betracht kommenden Privatirrenanstalten, insbesondere das Verpflegungsgeld und die in dem Statut der Staatsirrenanstalten aufgeführten weiteren Kosten auf die Dauer der Verpflegung der Kranken an die Anstalt, in welcher die Kranke jeweils untergebracht ist, aus der hiesigen Ortsfürsorgekasse zu bezahlen, vorbehältlich des Ersatzes durch den definitiv verpflichteten Fürsorgeverband.
3. Durch Übersendung eines Auszuges von Gegenwärtigem Kenntnis zu geben und um direkte Bezahlung der Verpflegungskosten an die in Frage kommende Anstaltskasse zu bitten.“ (2)
Von Tübingen aus kam Ernestine S. im Dezember 1934 in die Heilanstalt Weißenau bei Ravensburg. Dort soll sie sich gut eingelebt haben, „ihr Zustand“ besserte sich „bald erheblich“. An „ihren Verfolgungsideen“ hielt sie zwar weiter fest, sprach aber wenig davon. „Eine ruhige, stille Kranke, die mit jedermann auskommt, friedlich ihrer Arbeit nachgeht“, so wurde Ernestines Wesen nach einem Jahr Aufenthalt in Weißenau beschrieben (Dezember 1935). Das Pflegepersonal hielt in seinem Bericht sogar fest: „Sie stopft und strickt unermüdlich Strümpfe“ (2). 
Eine ruhige Kranke, die friedlich ihrer Arbeit nachgeht, fällt hier nicht unangenehm auf, könnte man vermuten. Dem war aber nicht so! [pers. Anm. AS] Am 01. 08. 1940 wurde Ernestine S. von Weißenau nach Grafeneck „verlegt“ und dort umgebracht. (1 S. 287) Sie hatte zu mindestens einer der vier Patientengruppen gehört, deren Namen ab September 1939 in den Anstalten und Einrichtungen des Reiches systematisch in Meldebogen erfasst wurden. Ernestine S. war 67 Jahre alt geworden.   


Quellen: (1) R. Tietzen (Hrsg.), Nürtingen 1918 bis 1950, Nürtingen/Frickenhausen (Sindlinger-Burchartz) 2011, S. 287

(2). Stadtarchiv Nürtingen (StaNt): Beschluss vom 16. 11. 1934, Gemeinderat und Ortsfürsorgebehörde, S. 290 ff, § 283

(3). Th. Stöckle, Grafeneck 1940, Die Euthanasie-Verbrechen in Südwestdeutschland, Silberburg-Verlag, Tübingen 2002 (Ausgabe im StaNt vorrätig)