www.landesmuseum-stuttgart.de
© Landesmuseum Württemberg, Stuttgart
Foto: P. Frankenstein, H. Zwietasch; Landesmuseum Württemberg, Stuttgart
Blatt 37
Es handelt sich um die Abbildung auf Seite 75, auf Seite 77 und auf Seite 157 aus: Württembergisches Landesmuseum/Geschichts- und Kulturverein Köngen (Hrsg.): Daniel Pfisterer: Barockes
Welttheater. ein Buch von Menschen, Tieren, Blumen, Gewächsen und allerlei Einfällen, Band 1, Stuttgart (Quell Verlag) 1996, ISBN: 3-7918-1620-9.
Die ursprüngliche Handschrift (Württembergisches Landesmuseum Stuttgart, Volkskundliche Sammlungen) hat die Inventarnummer VI 1979/31.
Sechs Kilometer von Nürtingen entfernt liegt neckarabwärts am linken Neckarhang Köngen. In der Zeit des Barock, in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, malte und dichtete der Pfarrer Daniel
Pfisterer und erstellte ein Buch namens "Barockes Welttheater". Darin sind auch "Zigeüner", Bärentreiber und andere Vaganten dargestellt. Aufschlussreich sind die Zeilen, die er dazu schrieb und
die Details der Illustration.
Auf Blatt 37 sehen wir eine Gruppe von elf Personen, zwei Männer, drei Frauen und fünf Kinder. Alle sind barfuß und haben schwarze Haare.
Ein Mann mit kurzem und schütterem Voll- und Schnurbart sitzt auf einem grauen Pferd oder Maultier, er umfasst mit seinen Armen einen Jungen, der vor ihm sitzt und hält mit seiner rechten Hand
den Zügel. Er trägt lange Haare, die mit einem hellen Stirnband in Zaum gehalten werden, wie dies auch bei dem zweiten Mann und zweien der Frauen zu sehen ist. Doch bei dem Reiter stehen einige
Haare oder Strähnen dennoch ab. Seine Frisur weist einen Mittelscheitel auf.
Der Reiter trägt ein weißes Hemd und ein rotes, hosenartiges Beinkleid bis knapp über das Knie, beide Bekleidungen sind an den unteren Enden zerfetzt. Über einer Schulter trägt er einen
tuchartigen Umhang. Sein Gesicht ist nach links gewandt, die Mundhaltung vermittelt eine freundliche Stimmung. Er scheint in die Mitte der Menschengruppe zu blicken.
Rechts neben ihm stehen zwei Frauen, die Gesichter einander zugewandt. Ihre langen schwarzen Haare werden durch ein helles Stirnband in Form gehalten, das hinten geknotet ist. Sie tragen
lange Rücke, die bis zu den Waden reichen, der Rock der linken Frau ist von gelb-beiger Farbe, der Rock der rechts stehenden Frau ist blau. Beide tragen eine weiße Bluse, die in Farbe, Form und
Faltung identisch ist mit den Hemden, die die beiden Männer tragen. Die links stehende Frau hat dem Betrachter den Rücken zugewandt, sie trägt einen ähnlichen Umhang über ihrer linken Schulter,
wie der des Reiters ist er rotbraun und blassblau gestreift. Die Blusen der Frauen sind ebenfalls an den Ärmeln ausgefranst, die Röcke nicht. Während die links stehende Frau wohl mit ihrer
rechten Hand ein etwa vier Jahre altes Kind hält, der mit einem Gewand desselben Materials wie die Blusen und Hemden bekleidet ist, evtl. hält sich das Kind auch am Rock der Frau fest, trägt die
rechts stehende Frau ein jüngeres Kind, wohl ebenfalls einen Knaben, in einem Tragetuch auf dem Rücken, das ebenfalls rotbraun und blau gestreift ist. Wir sehen das Antlitz der rechts stehenden
Frau, es ist ähnlich freundlich der anderen Frau zugewandt, wie der Reiter der Menschengruppe. In ihrem roten, schmalen Gürtel trägt sie einen geschwungenen Dolch. Vor diesen beiden Frauen
und dem Jungen liegt ein etwas älteres Kind auf dem Bauch schlafend auf dem Boden, dem unbewachsenen, braunen Erdreich, den rechten Arm angewinkelt vor seinem Gesicht, das rechteBein ebenfalls
angewinkelt. Er trägt das selbe Gewand wie das hinter ihm stehende Kind.
In der Mitte der Menschengruppe, zwischen Reiter und den rechts stehenden Frauen brennt ein Holzfeuer. Die Flammen züngeln etwa einen Meter nach oben, eine etwa drei Meter, baumförmige
weißlich-hellblaue Rauchwolke steigt in die Luft. Rechts neben dem Feuer steht ein längliches, hellbraunes Gefäß mit Henkel, es könnte für Wasser gedacht sein. Vor dem Feuer kriecht ein Mann auf
allen Vieren, dem Betrachter abgewandt, er kümmert sich um das Feuer, mit seinem rechten Arm stützt er sich am Boden ab, mit seiner linken Hand scheint er das Holz des Feuers nachzuschieben oder
sich am Rand des Feuer zu schaffen zu machen, wir sehen es nicht genau, da seine Rechte dies verdeckt. Auch er trägt ein helles Stirnband, aber im Unterschied zu den bislang beschriebenen
Personen ist sein rechter Arm und seine rechte Schulter unbedeckt. Den Rest des Oberkörpers bedeckt eine Oberbekleidung mit demselben Material wie die Blusen, das Hemd, und die Gewänder der
Kinder. Seine blaue Hose geht bis zu seinen Knien, die Unterseite ist in Fetzen.
Links neben dem Mann, der sich um das Feuer kümmert, und vor dem Pferd oder Maultier sitzt eine Frau, wir sehen nur ihr rechtes Bein, die langen, schwarzen Haare ohne Stirnband, wir sehen ihre
entblößten Brüste, an der rechten Brust nuckelt ein schon etwas älterer, nackter Säugling. Über Rücken und Achseln trägt sie einen blass-rötlichen Umhang, er ist etwas anders mit blauen
Streifenmustern verziert wie die anderen. Ihr roter Rock reicht ebenfalls bis zu ihren Waden. Seitlich hinter ihr, eventuell an ihre rechte Schulter gelehnt steht ein etwa sechsjähriger Junge,
der in eine gelb-orange kugelige Frucht beißt, wohl einen Apfel.
Unter dem Bauch des Maultiers oder Pferdes ist ein Teil einer Pflanze zu erkennen, eventuell ein sich gabelig verzweigender Stamm und längliche, schmale Blätter.
Ganz rechts, neben der Frau mit dem Kind im Tragetuch, ist Mauerwerk zu erkennen, mit behauenen rechteckigen Steinen, etwa einen Meter hoch. Dahinter ragt eine Pflanze schräg nach rechts in die
Höhe, sie ist kahl, nur oben beblättert.
Links neben dem Reiter ist überdimensional groß ein Kraut dargestellt, rechts die Blätter, links ein Stängel mit Blütenständen. Es ist als „kraut Absynthium“ bezeichnet, wie der Text unter ihm
verrät. Ob diese Pflanze einen Bezug zu der Menschengruppe hat oder nur dort hin gemalt wurde, weil hier noch Platz war?
Über der Menschengruppe steht:
„Zigeüner schreien: Ich will dir viel gutes sagen,
Mein schöne Jungfer, komm, Mein hübscher Junger Herr!
Damit bestehlen sie die Leüt bej hellen Tagen
Und bringen sie umbs gelt; das schwarze HöllenHeer“.
Durch eine Linie abgesetzt steht unter der Menschengruppe
„Das ist das Lumpengsind das mann Zigeüner heißet,
Das schädliche geschmeiß (unleserlich)
Ihr hand wahr (unleserlich)
als Ihnen“ (unleserlich)
Unter dem Kraut, rechts neben dem Kopf des Reittieres steht:
„Mann trinckt und überschlägt
das kraut Absynthium,
Wann einen hast die würm,
und grimmen, bringen umb.“
Bislang wurde das Bild so gedeutet, als habe es einen Bezug oder enthalte Zitate zur Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten. Dem kann ich mich nicht anschließen, als einzigen biblischen Bezug
könnte man die Frucht, den Apfel des Kindes sehen, aber auch hier scheint diese Frucht ohne solche Hintergedanken gemalt zu sein, sie liegt auch nahe, denn Apfelbäume wuchsen auch damals nicht
wenige in der Umgebung von Köngen.
Text: Manuel Werner, Nürtingen, alle Rechte vorbehalten!
Text: Manuel Werner, Nürtingen, alle Rechte vorbehalten!